VIVATERRA WANDERLEXIKON
(von Roman Jordan)
Zum richtigen Bergwanderer wird man nicht einfach geboren, sondern nur durch Übung. Wenn Du, wie die meisten von uns und auch ich selbst, nicht direkt in den Bergen aufgewachsen bist, dann ist das Bergwandern ein Sport, den du wie jeden anderen lernen kannst. Aber glücklicherweise mußt du das Bergwandern nicht zuhause üben – das Bergwandern übst du, indem du mit uns auf den Berg wanderst. Unsere Wander-Akademie gibt dir einige Hinweise, die dir den Start erleichtert und dir vielleicht die eine oder andere Enttäuschung erspart. Was ist eigentlich eine Bergwanderung? Wo hört die Wandertour auf, und wo wird die Bergwanderung zur alpinen Wanderung, Bergtour oder Hochtour? In diesem Ratgeber sind mit Bergwanderungen Touren angesprochen, die (zumeist rot-weiss-rot) markierten Routen folgen und, im Aufstieg wie im Abstieg, beträchtliche Höhenunterschiede von 500 Metern und mehr überwinden. Wenn du ein Wanderer bist und Lust auf mehr hast, wenn du gerne in der Natur bist und die Natur gerne rauher, direkter erleben möchtest, dann bist du bei Vivaterra richtig.
Wanderschuhe
Die Bergschuhe sind dein wichtigster Ausrüstungsgegenstand. Der Schuh soll dich vor Verletzungen schützen, denn im unebenen Bergwandergelände vertrittst du dir leicht den Fuss. Er muss für das Gehen auf nassem Fels oder im Schnee eine griffige Profilsohle (oft am gelben „Vibram“ Rhombus auf der Sohle erkennbar) haben, und er muss ausreichend wasserdicht und steif sein. Die Sohle soll genügend hart und dick sein, so dass du nicht gleich jeden Stein unter den Füssen spürst. Die typischen weichen Treckingschuhe mit Stoffeinlagen sind für Bergwanderungen nicht geeignet; ein klassischer Bergschuh ist jedoch meistens zuviel des Guten. Wenn du vorhast, später auch anspruchsvollere Touren zu unternehmen, dann kann es nicht schaden, wenn du von Anfang an einen „bedingt steigeisenfesten“ Schuh kaufst. Gute Bergwanderschuhe findest du ab ca. 150 Euro, solide Bergschuhe kosten leicht bis 300 Euro. Moderne Bergwanderschuhe musst du kaum mehr einlaufen, und die Gefahr von Blasen ist gering, wenn die Grösse stimmt und du für trockene Füsse sorgst. Die Grösse stimmt dann, wenn du im Fersen nicht rutschst und beim Bergabgehen mit den Zehen nicht vorne am Schuh ankommst. In guten Bergsportgeschäften findest du oft eine schräge Rampe, auf denen du das testen kannst. Du wirst beim Auswählen der Schuhe auch feststellen, das derjenige Schuh,der dir von Form und Farbe her am Besten gefällt, am schlechtesten sitzt. Solltest du dennoch einmal eine Blase fassen, dann hinke nicht einfach tapfer weiter, sondern halte an, ziehe den Schuh aus, steche die Blase mit einer Nadel oder einem feinen Messer auf, und klebe ein genügend grosses Pflaster darüber. In Apotheken und Bergsportgeschäften findest du dafür auch spezielle Blasenpflaster wie z.B. Compeed sowie Fusscrèmes, mit denen du deine Fusshaut schon vor der Tour etwas robuster machen kannst. Einer der vielen Bergmythen besagt, dass man die Schuhe unterwegs nie ausziehen soll. Das Gegenteil ist wahr: Ziehe die Schuhe (und die Socken) aus, wann immer es das Wetter und die Situation erlauben. Deine Schuhe, Socken und Fusshaut können so trocknen, und du schützst dich damit selbst vor Blasen. Und wenn du dann noch barfuss im Gras oder auf dem Fels herumspazierst, regst du auch die Blutzirkulation an. Übrigens kannst du den Schuh im Aufstieg durchaus etwas lockerer binden als im Abstieg.
Wanderbekleidung
Moderne Bergsportbekleidung ist funktionell, modisch – und teuer. Eine Jacke kostet leicht 300 Euro, ein High-Tech-Hemd kostet 50 Euro und mehr. Diebeste Qualität nützt Ihnen jedoch nichts, wenn du das falsche Material kaufst. Deine Bekleidung sollte in erster Linie bequem sein; wenn die Hose zwickt oder der Kragen am ohnehin sonnengeröteten Hals kratzt, dann wird das Bergwandern unangenehm. Viele neue Materialien („Funktionswäsche“) versprechen, den Körperschweiss von der Haut weg an die Oberfläche zu transportieren. Das funktioniert jedoch nur, wenn alle Schichten mitmachen; wenn du ein ultramodernes Unterhemd und darüber ein klassisches Sweatshirt aus Baumwolle trägst, funktioniert das nicht mehr. Der Preis für den Schweisstransport ist übrigens für einige von uns, dass die Kleider zu stinken beginnen, aber das steht natürlich nicht in der Werbung. Ob man nun lieber stinkt als schwitzt, ist Geschmackssache. Das „Schichtenprinzip“ besagt, dass du statt eines dicken Pullovers oder einer dicken Jacke besser ein Hemd, zwei dünne Pullover und eine dünne (aber regenfeste) Jacke mitnimmst. Du kannst damit die Temperatur weit besser regulieren als mit nur einer dicken gefütterten Jacke. Es stört niemanden, wenn du unterwegs anhälst und mit nacktem Oberkörper dein Hemd wechselst, und es lacht dich niemand aus, weil du zu einem blau karierten Hemd einen alten gelben Pullover trägst (kräftige Farben sind übrigens aus Sicherheitsgründen ohnehin empfehlenswert). Aber wenn du nur im Leibchen und mit einer dicken Jacke unterwegs bist, dann wirst du es dauernd zu warm oder zu kalt haben, und deine Leistungsfähigkeit (und deine Freude) wird stark reduziert.
Wandersocken
Möglichst keine Nähte. Verstärkte Zehen- und Fersenpartie. Socken nach dem Waschen nicht im Tumbler trocknen, weil sie sonst leicht verfilzen. Wenn eine Socke im Schuh zu rutschenbeginnt, ist es Zeit, sie zu ersetzen.
Wanderhosen
Lange Hosen aus einem rasch trocknenden Material. Mit kurzen Hosen kratzst du dir leicht die Beine auf und bildest ein attraktives Ziel für Mücken. Knickerbocker sind ein Relikt aus der Zeit, als die Engländer die Alpen entdeckten, und im Gebirge absolut unpraktisch.
Pullover
Lieber zwei dünne als einen dicken mitnehmen, beispielsweise einen dünnen Baumwoll-Sweater und eine leichte Faserpelzjacke. Achte darauf, dass der Hals nicht zu eng schliesst.
Wanderjacke
Eine nur leicht gefütterte Regenjacke schützt dich auch vor Wind und Kälte. Im Bergsportgeschäft werden diese oft als „All Seasons“-Jacken bezeichnet. Die Kapuze sollte in die Jacke integriert sein und, wenn sie über dem Kopf zusammengezogen ist, fast nur noch Augen und Nase freilassen. Lange Pelerinen schützen zwar den ganzen Körper und den Rucksack vor Regen, aber man stolpert damit leicht. Wenn das Wetter umschlägt, wird es in der Höhe selbst im Sommer oft sehr rasch windig und kalt. Für Höhen über 2500m sollte man deshalb auch eine Mütze und Handschuhe einpacken.
Wanderrucksack
Auf einer eintägigen Bergwanderung wirst du zwischen 6 und 8 Kilo, auf einer mehrtägigen sogar 10 Kilo oder mehr in deinem Rucksack transportieren. Der Rucksack soll dieses Gewicht möglichst regelmässig auf Schultern und Hüften verteilen. Wenn du im Bergsportgeschäft einen Rucksack anprobieren, beharre darauf, dass man ihn mit einem vernünftigen Gewicht füllt, und trage ihn mindestens zehn Minuten, bevor du dich zum Kauf entschliesst. Bei Rucksäcken mit einem steifen Rücken drücken die harten Gegenstände weniger, und oft ist die Luftzirkulation zwischen Rücken und Rucksack dabei besser. Ein Hüftgurt ist heute bei allen Modellen mit dabei, und auch ein Brustgurt gehört oft dazu (du brauchst ihn nur, wenn dir die Träger sonst von den Schultern rutschen). Die Träger und der Hüftgurt sollten breit und gut gepolstert sein. Viele Hersteller bieten heute spezielle Modelle für Frauen an, die auf den kürzeren Rücken angepasst sind und die Träger besser an den Brüsten vorbeiführen. Achte darauf, dass der Rucksack nicht zu breit ist und nicht zu viele Riemen und anderen Firlefanz hat. Wenn es einmal eng wird im Gelände, oder wenn der Weg dich einmal durch Unterholz und Gebüsch führt, bleibst du damit hängen. Aussentaschen sind zwar praktisch, aber sie verlagern den Schwerpunkt oft ungünstig nach hinten. Für eine eintägige Bergwanderungen brauchst du einen Rucksack mit einem Fassungsvermögen von 20-30 Litern, für eine zweitägige benötigst du eher ein Fassungsvermögen von 30-40 Litern. Pass auf, dass du nicht der Versuchung erliegst, „für alle Fälle“ einen übergrossen Rucksack zu kaufen – du wirst entweder dazu neigen, ihn immer bis oben zu füllen, oder du wirst ihn nur halbgefüllt herumtragen und damit den Schwerpunkt immer am falschen Ort haben. Kein Rucksack ist wasserdicht. Es lohnt sich, zum Rucksack auch eine auf die Grösse des Rucksacks angepasste Regenhülle zu kaufen; sie ist leicht und klein, aber sehr wirksam.
Wanderstöcke
Mit Stöcken zu gehen entlastet deine Gelenke. Teleskopstöcke lassen sich auf einen Drittel der Länge zusammenschieben, wenn man sie nicht braucht. Achte darauf, dass dir die Griffe angenehm in der Hand liegen, und traue dabei deinem Gefühl mehr als den technischen Eigenschaften des Griffmaterials. Je nach Gelände wirst du mit Stöcken sicherer oder weniger sicher gehen. Im Aufstieg auf steilen Grashängen kannst du mit den Stöcken mehr Kraft einsetzen und so leichter steigen (aber pass auf, dass du deswegen nicht zu schnell steigst). Im Abstieg, vor allem im nassen Gelände, kann es umgekehrt sein: Durch den Stockeinsatz hast du weniger Gewicht auf den Schuhsohlen und kommst leichter ins Rutschen. Im groben Geröll bleiben die Stöcke oft stecken; hier versorgt man sie besser im Rucksack. Auf Schneefeldern sind (entfernbare) Teller praktisch. Wenn du viel im Geröll und im Schnee unterwegs bist, nimm statt zwei Stöcken besser einen Pickel und nur einen Stock mit. Der Pickel bricht nicht unter Belastung, und du kannst damit Rutschpartien abbremsen. Ein Pickel zum Wandern hat eine einfache Haue und einen eher langen Stiel. Eiskletterpickel sehen zwar furchterregend toll aus, sind aber im Gelände nicht brauchbar.
Wandergamaschen
Beim Überqueren von Schneefeldern und im taunassen Gras leisten Gamaschen gute Dienste. Falle jedoch nicht auf die „Skigamaschen“ herein; Gamaschen für Bergschuhe haben einen Riemen, der unter dem Schuh hindurchgeführt wird, und einen Haken am vorderen Ende, mit dem die Gamasche an den Schuhnesteln fixiert wird. In gefütterten Gamaschen wirst du, ausser in der Arktis, kräftig schwitzen.
Sonnenschutz
Schneefelder und heller Kalk können so blenden, dass dir die Augen tränen. Mit einer guten Sonnenbrille, die das ultraviolette Licht filtert, schützst du deine Augen wirksam. Durch das Schwitzen und die höhenbedingt stärkere ultraviolette Strahlung verbrennst du dich in den Bergen leicht, selbst bei bedecktem Wetter. Nimm deshalb immer eine Sonnencreme mit (Sonnenschutzfaktor 8 oder höher). Und da du dich auf dem Kopfhaar selbst nicht eincremst, schützst du dich am besten mit einem leichten und hellen Sonnenhut.
Apotheke
In deiner Apotheke solltest du immer mehrere grosse Heftpflaster, Blasenpflaster, ein Desinfektionsmittel, ein Schmerzmittel und ein Mittel gegen Durchfall mitführen. In tieferen Lagen kann auch ein Mittel zur Behandlung von Insektenstichen nicht schaden. Für den Notfall packe auch eine gute Trillerpfeife in die Apotheke; das Pfeifen ist über einen Kilometer weit zu hören und damit das einfachste und sicherste Notsignal überhaupt. Das alpine Notsignal: Sechs mal pro Minute pfeifen, eine Minute warten, dann wiederholen. Die Antwort besteht aus einem gleichartigen Signal dreimal pro Minute.
Seil
Auch wenn du beim Bergwandern kein Seil benötigst, solltest du es immer dabei haben – ein etwa zwanzig Meter langes, 6-8mm dünnes Bergseil. Denn die Situation, in der du oder Dritte es brauchen werden, kommt bestimmt. Sei es, weil jemandem beim Abstieg über eine Geländestufe schlecht wird, sei es, weil ein Stück Weg abgerutscht ist, oder sei es, weil die Drahtseilsicherung an einer ausgesetzten Stelle herausgebrochen ist.
Körperliche Vorbereitung
Auf einer Bergwanderung benötigst du Kondition, Beweglichkeit und Kraft. Natürlich erwirbst du diese beim Bergwandern mit der Zeit von selbst, aber du kannst sie auch gezielt trainieren.
Kondition
Jede Sportart, bei der du deinen Körper über längere Zeit mit einem mittleren Puls um die 100-120 Schläge pro Minute einsetzt, fördert die Kondition. Waldläufe, Radfahren oder Skilanglauf, aber auch Tennis oder Volleyball eignen sich sehr gut für den Aufbau der Kondition. Es macht übrigens nichts, wenn deine Kondition im Winter etwas nachlässt; sie ist im Frühsommer, wenn du ein bisschen aufbauend vorgehst, rasch wiederhergestellt.
Beweglichkeit
Du musst am Berg keine Ballettübungen zeigen, aber du solltest im unebenen Gelände die Balance halten können und nicht gleich stürzen, wenn du ein bisschen rutschst oder wenn ein Stein unter deinen Füssen ins Wackeln kommt. Am besten übst du das gleich beim Bergwandern selbst: Im leichten Gelände nimmst du dir für jeden Schritt vor, auf welchen Stein du auftreten willst, und machst dabei auch einmal einen Ausfallschritt nach links oder rechts.
Kraft
Kräftige Bein- und Rückenmuskeln machen dir das Bergwandern einfacher. Auf den Kraftraum kannst du verzichten, wenn du bei leichten Hügelwanderungen mehr Ballast als nötig in den Rucksack packst und beim Aufstieg das Tempo erhöhst. Auch mit viel Kondition und Kraft wirst du nach deinen ersten Bergwanderungen einen tüchtigen Muskelkater verspüren. Wenn du mit Muskelkater in den Beinen eine nächste Tagesetappe angehst, gib deinen Muskeln Zeit, um warm zu werden, indem du während der ersten halben Stunde deutlich langsamer als sonst gehst.
Tourenwahl
Die Bergwandersaison geht, je nach Schneeverhältnissen, etwa von Mai bis November. Beginnst du deine Saison mit einigen eintägigen Bergwanderungen in tieferen Lagen, und nimm dir für die erste Bergwanderung nach der Winterpause nicht mehr als 800 Höhenmeter vor. Die anspruchsvollsten Touren solltest du auf den September planen: Die Tage sind dann noch genügend lang und warm, das Wetter in den Alpen ist relativ beständig, und deine Form wird nach mehreren kürzeren Touren im Frühsommer und Sommer auf dem Höchststand sein. Wenn du dich in den Alpen nicht auskennst, kaufe dir am besten ein Buch oder einen Gebietsführer, etwa die „Wandern alpin“ von Philippe Metzker. Die Tourenvorschläge führen dich in bekannte und weniger bekannte Gebiete ein, enthalten Angaben zur Schwierigkeit, Marschzeit und Unterkünften, und erklären oft auch noch Sehenswürdigkeiten und regionale Besonderheiten. Bei einer mehrtägigen Bergwanderung solltest du deine Übernachtung so früh wie möglich in den Hütten oder Berggasthäusern reservieren. Falls du deine Tour nicht durchführen kannst, dann widerrufe deine Reservation telefonisch; die Hüttenwarte und Wirte haben durchaus Verständnis, wenn du aufgrund des Wetters absagen. Einige sehr unhöfliche Bergwanderer reservieren an mehreren Orten gleichzeitig, damit sie unterwegs die Wahl haben. In Anbetracht der knappen Bettenzahl in den Alpen ist das höchst unsportlich gegenüber anderen Bergwanderern und ein finanzielles Problem für denjenigen Hüttenwart, der am Schluss trotz Hochsaison einen nicht verkauften Schlafplatz hat. Besorge dir eine genaue Karte deiner Tourenregion, am besten die Landeskarte 1:25000, und vollziehe die Tourenbeschreibung auf der Karte nach. Überlege, wo du im Aufstieg an der Sonne gehen wirst und welche markanten Geländepunkte du zur Orientierung benützen willst. Prüfe auch, ob du mit Gegensteigungen rechnen musst – nicht alle Berge gehen links nur hinauf und rechts nur hinunter.